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seminar atelierschule

 

52 fragen

 

Welche wirkliche, innere Frage beschäftigt mich als Lehrperson oder Schüler:in? Eine Frage zu Lernen, Unterricht, Schule, Pädagogik, die über die Alltagsfragen, die auch bewältigt werden wollen, hinausgeht. Was frage ich mich persönlich in der Tiefe und ganz subjektiv, wie ich mit etwas umgehen soll? Ob und wie ich damit leben will?

Ich denke, jeder Mensch hat diese tiefen Fragen. Und ich stelle mir vor, durch eine Sammlung vieler dieser individuellen Fragen würde ein interessantes und wichtiges Bild entstehen, an welchen Punkten Jugendpädagogik heute mit ihren Problemfeldern, Entwicklungs- und Forschungsthemen steht. Ein Bild, das ganz aus der Gegenwart und Praxis entsteht. Und das gerade, weil es keine Antworten liefert, motivieren, öffnen und anregen kann.

Ein Jahr werde ich nun Fragen von verschiedenen Personen sammeln und in dieser Reihe Woche für Woche veröffentlichen. Ich bin selbst sehr gespannt, in welche Fragen wir hineinhören können.

Henrik Löning, Februar 2023

 


 

– Sommerpause Juli und August 2023 –

 

Wie viele Lehrpersonen beschäftigte es mich öfter, welche Fragen die Jugendlichen selber haben. Es gibt eine Menge Unterrichtssituationen, in denen Fragen eingesetzt werden, als dialogische Eröffnung zu einem Thema, als Abtasten des Vorwissens, als Aufgabe für Gruppenarbeiten, als Themen für Aufsätze, als Prüfungsfragen usw. Von einer solchen Fragesituation möchte ich hier berichten.

Viele Jahre habe ich in den 12. Klassen eine Morgenepoche zur Bewusstseinsgeschichte unterrichtet. Ausgehend von Jaspers Idee der «Achsenzeit» oder auch von Gebsers Darstellung der «Bewusstseinsmutationen» werden hier in vielen Stationen Umrisse der Geistes- oder Ideengeschichte von Buddha über Hildegard von Bingen bis Nietzsche oder von Heraklit, Sokrates und Platon über die Entstehung der modernen Naturwissenschaften in der frühen Neuzeit bis Wittgenstein, Hannah Arendt und Sartre behandelt. Alle Schüler tragen in einem Referat der Klasse das Leben, die Ideen und die Zeit eines frei gewählten  Denkers oder einer Denkerin aus den letzten drei Jahrtausenden vor.

Einmal begann ich anlässlich der historisch durchgeführten Betrachtung von Denkströmungen und Weltanschauungen zur Belebung der Eigenaktivität die Schülerinnen und Schüler nach ihren wichtigsten Welt- und Lebensfragen zu fragen. Nur eine kleine Gruppenarbeit, 3–4 Schülerinnen und Schüler zusammen, Dauer 10 Minuten. Jede Gruppe schrieb nach einem kleinen Austausch im Gespräch etwa drei bis zehn wichtigste Fragen aus ihrer Sicht auf und gab mir diese ab. Dies wiederholte ich mit zwei oder drei Klassen. Es kommen da kunterbunt die verschiedensten Fragen zusammen, zum Beispiel:

Wieso zerstört der Mensch auch sich selbst?
Was ist ein gutes Leben?
Was ist Liebe?
Wie gross ist das Universum?
Gibt es eine Seele?
Was ist mein Ziel im Leben?

Oft fasste ich dann am nächsten Tag als Rückmeldung an die Klassen die Fragen, die am häufigsten von verschiedenen Gruppen formuliert wurden, zusammen. Bald fiel mir auf, dass sich interessanterweise einige Fragen in fast allen Klassen wiederholen und am meisten gestellt werden. Später machte ich diese kleine Gruppenarbeit im Rahmen der Unterrichtsepoche zur Bewusstseinsgeschichte noch viele Jahre mit vielen weiteren Klassen, immer nur als kleine sachliche Gruppenarbeit, die auch anonym abgegeben werden kann, nicht persönlich und nie, um sie dann direkt für den Unterricht zu verwerten. Im Lauf der Jahre veränderten sich die Fragen etwas und je nach Klasse waren sie immer in vielsagender Weise unterschiedlich, wozu man vieles beobachten kann. Aber die drei weitaus am häufigsten von den Schülerinnen und Schülern über die Jahre aufgeschriebenen Fragen waren immer dieselben, oft sogar wortgleich formuliert, auch wenn manche Gruppen in den Klassen sie gar nicht stellten. Diese drei Fragen waren:

Gibt es einen Sinn des Lebens?
Was passiert nach dem Tod?
Gibt es Gott? Gibt es eine höhere Macht?

Ein vierter Fragekomplex, der häufig, aber verschwommener und in ganz verschiedenen Formen auftauchte, wurde zum Beispiel mit diesen Fragen gestellt:

Wieso bin ich hier? Habe ich eine Aufgabe auf der Erde? Was ist mir wirklich wichtig?

Ohne dass ich diese Fragen weiter direkt im Unterricht verwertete, haben sie mich indirekt im Hintergrund des Unterrichtens immer sehr berührt, beschäftigt und beeinflusst als tiefe und wesentliche Fragen, die im Jugendalter in elementarer Weise leben, während wir mit diesem oder jenem Schulstoff an die Schülerinnen und Schüler herankommen.

 

Cornelius Bohlen

Lehrer für Deutsch und Geschichte, Schulleitung, Atelierschule Zürich

 


Publiziert: 30. Juni 2023

 

Drei mir persönlich wichtige Fragen:

1. Bin ich?

2. Denke ich?

3. Bin ich mir meines Bewusstseins bewusst (wenn das überhaupt möglich ist)?

 

Elia Küenzi

Klasse 12b, Atelierschule

 


Publiziert: 24. Juni 2023

 

Wir haben viele Fragen an die Schule. Sie betreffen den Unterricht, den Stundenplan, die Gestaltung der Pausenplätze, der Innenräume und die Mensa. Wir fühlen uns wohl an der Schule und es gefällt uns hier. Dennoch gibt es Dinge, die man verbessern könnte.

So wäre es toll, wenn der Unterricht  jeweils in Doppelstunden geführt werden könnte. Stündlich wechselnde Fächer, aber auch Vierstundenblöcke sind ermüdend. Dauert der Unterricht von 8–17 Uhr, sind anschliessend verschiedene Freizeitaktivitäten nicht mehr möglich. Wenigstens gibt es einen Ausgleich durch die beiden Wochentage, an denen die Schule um 13 Uhr endet. Da hat man Zeit, um Freundschaften und Hobbies zu pflegen.

Wünsche zur Umgestaltung oder Ergänzung der Aussen- und Innenräume werden selten erfüllt – und wenn, dann dauert es unglaublich lange. Und das Mensaessen könnte man ja – bei schönem Wetter – auch draussen oder auch mal im Klassenzimmer einnehmen statt im Essraum der Mensa, wo es oft etwas hektisch zu- und hergeht.

Unsere zwei wirklich wichtigen Fragen sind aber:

1. Müssen die Lehrer:innen an der Steinerschule in eine Lehre gehen, wo sie das Unterrichten lernen? Wir sehen sehr grosse Unterschiede bei den Lehrpersonen und fragen uns manchmal, ob wir wirklich das Richtige lernen oder nur einfach das, was der Lehrer oder die Lehrerin gut kann und weiss.

2. Was ist genau der Unterschied zwischen der Steinerschule und der Staatsschule? Wieso erklären uns die Lehrer:nnen nicht, was bei uns anders gemacht wird?

 

Mathilda und Sirin

7. Klasse, Rudolf Steiner Schule Zürich, befragt von Jean-Claude Baudet

 


Publiziert: 17. Juni 2023

 

Die Frage beschäftigt mich sehr und ist eine Frage, welche meines Erachtens nicht so einfach beantwortet werden kann. Es geht mir auch nicht darum, sie vollständig zu beantworten, aber ich bin der Überzeugung, dass wir uns in der Gesellschaft mit dieser Frage auseinandersetzen müssen, und dies jetzt!

Wir sind alle ein Teil des Systems, was es umso schwieriger macht, diese Frage anzugehen. Die einfachste (nicht die günstigste) Variante wäre wohl einfach, mehr Plätze zu schaffen. Damit lässt sich das Grundproblem aber kaum lösen. Die Corona-Pandemie hat durch Isolation und soziale Abschottung die Situation sicherlich verschärft, aber es gab schon vorher sehr lange Wartezeiten bei den Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten.

Eltern möchten gute Eltern sein, sie wollen immer das Beste für ihre Kinder. Oft beobachte ich Eltern, welche, teilweise aus Schuldgefühlen, weil sie zum Beispiel stark im Job eingebunden sind, ihre Kinder mit Konsumgütern versorgen. Das ist aber jeweils nur von kurzer Freude geprägt. Was brauchen die Kinder, was stärkt ihre mentale Gesundheit? Sie brauchen Wärme, Zuneigung, Beziehung, wollen ernst genommen werden, Sicherheit, sichere Orte, sie wollen gesehen werden mit ihren Ängsten und Sorgen. Wer hat heute noch Zeit, für die Kinder und Jugendlichen da zu sein?

Wir beschäftigen uns mit dem Thema Hochsensibilität. Weil immer mehr Menschen, auch Kinder und Jugendliche, an den Grenzen zur Überforderung stehen. Der Mensch ist aus meiner Sicht von Grund auf ein hochsensibles Wesen – aber wir lernen im Laufe der Entfaltung damit umzugehen. Unser Hirn lernt Nützliches von Unnützem zu trennen, zu filtern und so werden wir stressresistenter, aber: Ist es überhaupt möglich in unserer aktuellen Gesellschaftsordnung hochsensibel zu sein? Wir stossen doch ständig an Grenzen unserer Informationsverarbeitung. «Wir informieren uns zu Tode» heisst ein neues Buch von Gerald Hüther und Robert Burdy. Ich habe es noch nicht gelesen, aber wir haben immer mehr Wissen und Informationen zur Verfügung, sind aber meines Erachtens überfordert damit umzugehen.

Letzthin meinte ein Bekannter zu mir, er schaue am Abend nur dann fern, wenn er nichts mehr denken möchte. Aber haben Sie sich schon mal überlegt, wie intensiv unser Hirn für uns arbeitet, wenn wir nicht mehr denken oder abschalten möchten, uns aber mit schnellen Bildern, Tönen, Nebengeräuschen und Gerüchen aus der Abendküche auseinandersetzen müssen?

Auch Kinder und Jugendliche sind gefordert mit ständiger Informationsflut. Klar, durch soziale Medien. Aber auch der schulische Lehrplan ist bis hinunter in den Kindergarten ein ganz anderer als noch vor 30 Jahren.

Unsere aktuelle Zeit ist geprägt von Unsicherheiten. Mit stabilen Beziehungen schaffen wir Sicherheit und diese brauchen Zeit und Hingabe. Von Eltern zu Kindern, von Lehrpersonen zu Jugendlichen, von Mensch zu Mensch.

Wie gesagt, die anfangs gestellte Frage wage ich nicht einfach zu beantworten, sie scheint zu komplex. Aber wir alle können uns fragen, was uns guttut, wie wir unser Leben gestalten möchten und wieviel Zeit wir uns nehmen für unsere Beziehungsgestaltung.

 

René Baumgartner Carnieli

Schuleltern Atelierschule, Schulsozialarbeiter

 


Publiziert: 10. Juni 2023

 

Mich beschäftigen viele Fragen. Eine davon ist die Frage der Resilienz. Heutzutage ertragen viele Jugendliche das Leben fast nicht mehr. Sie sind sehr schnell seelisch, aber auch körperlich überfordert und erschöpft. Sie haben oft auch Mühe, sich unangenehmen oder anstrengenden Situationen zu stellen, werden dann krank oder bleiben zu Hause.

Was kann die Schule machen, damit die Jugendlichen gestärkt werden? Wenn ich die heutige Welt sehe, scheint es mir wichtig, dass die Jugend «stark» ist, um mit den immensen Herausforderungen umgehen zu können. Aber wie machen wir die Jugendlichen stark? Was heisst das überhaupt? Wie stärken wir den Durchhaltewillen, das Aushalten, den «Biss»? Könnte ein Weg vielleicht sein, sie aus ihrer Komfortzone zu holen und mit ihnen in der Natur «Grenzerfahrungen» zu machen? Ihnen zu zeigen, dass sie sich in schwierigen Situationen behaupten können, dass sie sich überwinden können, einander beistehen können? Dies würde dem ureigenen Bedürfnis der Jugendlichen entgegenkommen, einander zu helfen, sie würden Selbstwirksamkeit erleben und könnten so Vertrauen in ihre eigene Lebensfähigkeit entwickeln. So könnte ihre Resilienz gefördert werden. Das bedingt aber auch, dass wir Schule viel grösser denken, also weg vom Klassenzimmer, weg vom Schulstoff in die Welt hinaus.

 

Vanessa Pohl

Lehrerin für Englisch, Französisch und Schulleitung an der Rudolf Steiner Schule Münchenstein. Koordinatorin für die Schulen beim Verband Rudolf Steiner Schulen Schweiz. 

 


Publiziert: 3. Juni 2023

 

Jugendliche erfahren sehr früh, dass die Zukunft unseres Planeten auf dem Spiel steht. Diese Herausforderung ist nicht nur eine Erkenntnisfrage, sondern auch eine Haltungsfrage.

Schule und Unterricht müssen eine dialogische Urteilsdisposition pflegen, durch welche Jugendliche eine angemessene Haltung im Umgang mit der Natur entwickeln lernen.

Was heißt das für die didaktische Elementarisierung? Wie können die affektiven Dimensionen von Angemessenheit und Genügsamkeit erschlossen werden? Wie entstehen schulische Resonanzräume, die zukünftige Lebensmodelle vorbereiten?

 

Wilfried Sommer

Professor für Schulpädagogik an der Alanus Hochschule in Alfter, Dozent für Lehrbildung am Lehrerseminar für Waldorfpädagogik in Kassel, Lehrer für Physik an der Freien Waldorfschule Kassel.

 


Publiziert: 27. Mai 2023

 

Im Roman „Im Westen nichts Neues“ von E. M. Remarque stellt die Hauptfigur fest, dass Bildung absurd scheint, wenn sie nicht befähigt, einen Weltkrieg zu verhindern. Max Frisch seinerseits befremdet, dass hoch gebildete Menschen tagsüber als Vorsteher von KZs Morde anleiteten und sich abends Bildungsinhalten zuwendeten, etwa ins Theater gingen.

Das ist tatsächlich irritierend und zeigt: Im Ideal müsste Bildung ins Leben greifen; sie müsste uns befähigen, eine Welt zu schaffen, in der wir leben wollen.

Dies kann Bildung auch heute noch kaum (1). Mitunter zeigt sich dies daran, dass für junge Menschen im Schulalltag ständig die Frage „Wozu dies alles?“ auftaucht (2). Junge Menschen empfinden, wie sinnlos Bildung ist, die nicht in ihr Leben greift – sie werden unglücklich.

Um die Leere solcher Bildung zu verdecken, werden mancherorts Inhalte höher gestapelt. Zuweilen brechen junge Menschen darunter zusammen. Tragisch ist, dass die höheren Stapel die Leere unmöglich füllen, solange keine Handlungsspielräume freigesetzt werden.

Aber eröffnet unsere heutige Bildung nicht Handlungsspielräume, indem sie „auf einen Job“ vorbereitet? Vielleicht sogar auf einen „guten Job“? Wahrer Handlungsspielraum liegt nicht im Ausführen eines guten Jobs. Sondern darin, mitbestimmen zu können, ob wir überhaupt in einer Gesellschaft mit „guten“ und „schlechten“ Jobs leben wollen – oder ob wir nicht lieber in einer Gesellschaft ohne „schlechte Jobs“ leben wollen. Wahrer Handlungsspielraum wäre, in einer Gesellschaft zu leben, die wir selber gestalten, statt in einer Gesellschaft in der „es nun mal so ist, wie es ist“. Mancher junge Mensch sieht darin, dass Bildung uns vorrangig zu den bestehenden Jobs ausbildet, den nächsten Freiheitsentzug – zu Recht. Denn wenn der Handlungsspielraum, der uns mitgegeben wurde, sich darin erschöpft, unseren Job auszuführen, bleiben wir „dem Alltag“ passiv ausgeliefert. Jeremias Hermanek, 11a, schreibt: „Ist unser Problem nicht der Alltag? / Seinetwegen sind wir eh bald alt. / Fühlt man sich nicht, als hätte man Zeit verschwendet / Oder wurde sie einem entwendet?“

Eine Bildung, die befähigt, das Leben und unsere Zukunft wirklich zu gestalten, wäre Lebenselixier. Ich denke, es gibt an der Atelierschule Lehrpersonen, die zu einer solchen Bildung beitragen möchten. Und die sich fragen, wie solche Bildung real werden kann. Wie und was müssen wir unterrichten, damit Bildung wirklich Handlungsspielräume freisetzt? Ich glaube daran, dass dies möglich ist.

Wir leben in einer Welt, die enorm hochentwickelt scheint und zugleich an den grundlegendsten Aufgaben scheitert, etwa daran, die Würde anderer zu achten. Wirkliche Bildung kann dies ändern. Solche Bildung wird sich weniger leer anfühlen, wird weniger unglücklich machen. Und – theoretisch – könnte solche Bildung auch einen dritten Weltkrieg verhindern.

 

1. Heute können wir ähnlich wie Max Frisch fragen: Wie ist es möglich, dass wir junge Menschen (mindestens) neun Jahre lang bilden, während in unserer Gesellschaft etwa Diskriminierung ein blühendes Dasein führt?

2. Ruben Schulcz Pereira, 11d, schreibt im Rahmen dieser „52 Fragen“: „Ich beschäftige mich innerlich schon seit langer Zeit mit der Frage, was mir das alles bringt oder bringen sollte.“

 

Astrid Kottmann

Lehrerin für Deutsch und Philosophie, Atelierschule

 


Publiziert: 17. Mai 2023

 

In meiner Arbeit als Schulsozialarbeiterin der Steinerschule bin ich täglich umhüllt und erfüllt von Fragen: Fragen, welche die Kinder und Jugendlichen und ihre Bezugspersonen bewegen – Fragen, die mich bewegen – Fragen, die wir gemeinsam bewegen. Fragen, die sich immerzu wandeln, mal überwältigend gross, mal leicht und flüchtig. Fragen sind wertvoll, sind sie doch lebendiger Ausdruck von Entwicklung und Wachstum. Viele dieser Fragen stehen in Zusammenhang mit dem Verstehen der Welt, mit der eigenen Handlungsfähigkeit und der Sinnhaftigkeit des Daseins. Hier gewähre ich einen kleinen, abstrahierten Einblick in meine endlos lange Liste – mögen beim Lesen viele Antworten anklingen!

 

Fragen der Jugendlichen

Wie gehen wir um mit der Grenzenlosigkeit der Welt, der Überforderung damit?

Wer nimmt uns Entscheidungen ab? Wer gibt uns Halt, Schutz, Sicherheit, Orientierung?

Wer versteht, sieht, erkennt uns wirklich? Warum fühlen wir uns oft einsam und alleine?

Warum sind wir so oft im Mangelfokus, in (Selbst)Kritik, im Minderwert, in der Wut?

Warum haben wir hohe Ansprüche an uns und die Welt, wollen alles perfekt haben? Und warum wollen manche von uns gar keine Verantwortung übernehmen?

Warum sind wir nie genug (schön, schlau, stark, ...)? Warum fehlt immer etwas? Und was?

Warum erlauben wir es uns nur ungern, Fehler zu machen? Warum ist das so peinlich? Machen uns Fehler und Unvollkommenes nicht erst liebenswert und sympathisch?

Sind Krisen nicht spannende Abenteuer, die das Leben an uns stellt? Ist Aufgeben manchmal sinnvoller und wertvoller als Durchbeissen?

Wie geht Loslassen? Und was passiert, wenn man loslässt?

Ist das Leben ein Kampf oder darf das Leben auch leicht sein?

Wie entsteht in mir Neugierde, Tatendrang, Mut zum und Lust am Leben? Wie und wo finden wir Vertrauen ins Leben?

Ist Sicherheit aussen oder innen? Was trägt uns? Was führt uns?

Warum sind wir auf der Welt? Wo wollen, sollen, müssen, dürfen wir hin?

 

Fragen der Erwachsenen (Eltern, Lehrpersonen, weitere Bezugspersonen)

Welches sind meine bewussten und unbewussten Glaubenssätze in Bezug auf Erziehung?

Wie bin ich aufgewachsen – was will ich gleich, was anders machen?

Bin ich zur (Selbst)reflexion befähigt? Mit wem reflektiere ich meinen Erziehungsalltag?

Habe ich ein tragendes Beziehungssystem? Was sind meine Unterstützungsnetze, die mich in Momenten der Ratlosigkeit und Unsicherheit befähigen?

Wie gehe ich um mit Ängsten? Was sind meine Ressourcen?

Woraus schöpfe ich Kraft und Mut für eigene Lebenskrisen, für meine inneren Polaritäten?

Bin ich ein valides Vorbild – aktiv handlungsfähig in eigenen sinnhaften Lebenszusammenhängen?

Habe ich einen lustvollen oder einen starren Umgang mit Herausforderungen?

Bin ich neugierig und offen gegenüber der Welt oder in Ängsten und Bewertungen gefangen?

Kann ich meinem Kind Grenzen geben? Wo sind meine eigenen Grenzen, gebe ich sie mir und/oder werden sie mir gegeben? Wohin gehen meine Energien?

Wie erlebe ich die Beziehung zu meinem Kind?

Worauf kann und darf ich Einfluss nehmen und worauf nicht? Wie gut kann ich dem Leben und dem Schicksalsweg meines Kindes vertrauen? 

 

Joanna Dal Bosco

Schulsozialarbeit, Rudolf Steiner Schule Zürich

 


Publiziert: 29. April 2023

 

Mich beschäftigt die Frage, wie die Umgebung das Lernen fördern kann. Unsere Klassenzimmer sind noch sehr stark vom Frontalunterricht geprägt mit einer Wandtafel, dem Lehrer:innen-Pult und der Ausrichtung der Stühle in eine Richtung. Wäre es nicht sinnvoll diese Räume etwas mehr aufzubrechen? Warum braucht es noch Klassenzimmer? Warum verzichten nur die Ateliers auf die frontale Ausrichtung? Wieso darf Lernen nicht auch unterwegs stattfinden?

Lernen heisst immer mehr auch kommunizieren. Die Fähigkeit Informationen, Ideen und Projekte in Worte zu fassen und mit Anderen in den Austausch und die Debatte zu gehen ist meiner Meinung nach zentral. Auch da hilft die Ausrichtung nach vorne nicht. Räume sollten dann vielmehr ein Zueinander als ein Hintereinander ermöglichen.

Für die stille Arbeit an einem Text oder für das Lernen im virtuellen Raum braucht es verhältnismässig wenig Platz. Da reicht ein Stuhl und eine kleine Arbeitsfläche. Ausserdem stelle ich immer wieder fest, dass nicht alle Schüler:innen im gleichen Masse absolute Stille brauchen. Gruppenarbeiten, Experimente und kreative Tätigkeiten dagegen wollen Platz haben.

Wie schaffen wir diese Räume? Was müssen wir umstellen? Können wir sogar Geld sparen, weil wir weniger privaten Raum brauchen und auch in den öffentlichen Räumen lernen können?

 

Christian Käser

Berufs- und Lerncoach, Atelierschule

 


Publiziert: 21. April 2023

 

Ich erlebe die Jugendlichen auf der Stufe 7.–9. Klasse zu oft gehemmt und still, wenn sie zu einer offenen Frage Antworten finden können. Sie melden mir häufig zurück, dass sie sich nicht getrauen, eine Antwort zu geben. Sie könne ja falsch sein. Sie warteten lieber andere Wortmeldungen ab. Es könne etwas Fehlerhaftes im Heft stehen – das scheint für viele SchülerInnen ein Ding der Unmöglichkeit.

Ist das eine kulturelle, gesellschaftliche Sache? Haben wir PädagogInnen versagt? Und wenn ja, wann und wo? Was benötigen die Jugendlichen, um angstfrei Fehler zuzulassen? Und was benötigen die PädagogInnen?

Ivonne Schulz

Oberstufenlehrerin, Rudolf Steiner Schule Zürich

 


Publiziert: 6. April 2023

 

Befinden wir uns, wie es Karl Jaspers damals für die 50er-Jahre im letzten Jahrhundert schlussfolgerte, in einer universalen Grenzsituation der ganzen Menschheit, gefangen im Umstand, dass wir uns in Situationen finden, die wir nicht verändern und denen wir nicht entkommen können?

In diesen Grenzsituationen, wie Jaspers sie nennt, sind wir mit all unserem Weltwissen und all unseren Techniken am Ende. Für Jaspers waren es in den 1950er-Jahren der mögliche kollektive Atomtod und die mögliche Errichtung eines weltweit terroristischen Überwachungsstaats, welche die Menschheit in eine universale Grenzsituation geführt haben. Während die erste Möglichkeit erschreckend vertraut anmutet, gibt es in der Gegenwart durchaus auch Beispiele – zum Glück nicht weltweit – für technologische sowie ideologische Bestrebungen, einen dystopischen Überwachungsstaat anzustreben. Von der möglichen Klimakatastrophe wusste Jaspers noch nichts. Die mögliche Eskalation des Ukraine-Kriegs oder die mögliche Klimakatastrophe, lassen sich politisch durchaus als universale Grenzsituation für die ganze Menschheit bezeichnen (1).

Wir können natürlich die Grenzsituation ignorieren und verdrängen, uns in harmonistische Welterklärungen und rationale Safe Spaces verschliessen. Ich ertappe mich selbst viel zu oft dabei, vielleicht verständlich, denn würde ich sonst nicht Gefahr laufen, angesichts dieser ohnmächtigen Grenzsituation in Nihilismus und Verzweiflung zu versinken?

Nicht unbedingt. Viele unserer Schülerinnen und Schüler machen es intuitiv: Sie stellen sich den Grenzen, versuchen sich diese klarer zu machen – und mit der zunehmenden Klarheit spüren sie, wie auch das Verlangen wächst, über sie hinauszugelangen, zu erfahren, worauf es uns ankommen soll, und Halt zu finden, auch wenn alles ins Wanken gerät. Wir als Lehrpersonen können und sollen Sie unterstützen.

Um mit Karl Jaspers zu schliessen: Wissenschaft kann zwar erkennen, was der Fall ist, aber sie wird uns nie sagen können, was wir wollen sollen. Dazu gehört die eigene prüfende Suche nach der Sinnmöglichkeit, auf die ich mein Leben wagen will.

 

1. Vgl. «Folgen des Ukraine-Kriegs: Ist ein Atomkrieg unvermeidlich?», in: NZZ, 11.09.2022,  und «Amazonas, Arktis, Regenwald – wann kommt es zum Kollaps?», in: Tages-Anzeiger, 14.09.2022.

 

Nils Weber

Lehrer für Geschichte, Atelierschule

 


Publiziert: 30. März 2023

 

Seit Corona hat sich die Welt deutlich verändert. Corona hat meiner Erfahrung nach nur deutlicher gemacht und beschleunigt, was sowieso ansteht. In meiner Studie zur Coronapandemie («Die Herausforderung dieser Zeit können wir nur gemeinsam bewältigen» in der Zeitschrift der Steinerschule Zürich, «Spektrum», Herbst 2020, S. 30ff., oder im «Schulkreis», Herbst 2020) sprachen insbesondere Kinder und Jugendliche eine deutliche Sprache. Die drei wichtigsten und quasi exemplarischen Qualitäten sind:

Gesehen werden und im Herzen berühren

Begeisterung

Lebendigkeit leben, lebendig sein

 
Welche Veränderungen in der Welt resultieren daraus und wie können wir diese in den (Schul-)Alltag integrieren?

Soziale Beziehung beginnt bei mir, nicht bei meinem Gegenüber (Ich-Ich!). «Echte menschliche Begegnung», innermenschliches Gefüge, dialogische Erziehung, pädagogische Entwicklungs- oder Begegnungsräume, «stille Revolutionäre», wie hier im Magazin schon beschrieben, beginnt bei jedem von uns!

Neugestaltung sozialer Beziehungen: Bei einer Begegnung sollten wir nicht mehr sofort reagieren, oftmals unreflektiert, wie wir das seit Jahrhunderten gewohnt sind, sondern innehalten und das Gefühl, das sich ausbreitet, wahr und ernst nehmen. So können wir das Gefühl und seine Botschaft besser verstehen und die Handlung deutlicher gestalten.

Die Gesellschaft sind wir. Niemand muss auf Heilung in einer neuen Gesellschaft hoffen, wir alle sind Gesellschaft, wir alle entwickeln und neugestalten Gesellschaft, allen voran die Jugend mit unserer Unterstützung!

Wir (Kinder, Jugendliche, Lehrkräfte, Eltern) betreten damit Neuland, und dies besonders in Lern- und Heilungsprozessen, aber überhaupt in jeder sozialen Beziehung (Ich-ich, ich-Du, Ich-wir), in jeder Gemeinschaftsbildung, in jeder Schule. Das Neuland darf/soll für jede Person offen sein, und jede Person kann sich helfen lassen, wenn sie bei sich nicht weiterkommt. Nur gemeinsam wird uns dieser enorme Entwicklungsschritt gelingen!

Schule ist überall. Gestalten wir(!) Schule – alle gemeinsam. Die Lernwelt ist überall. Damit gestalten wir Gesellschaft und Gemeinschaft neu!

 

Michael Seefried

Dr. med., Kinder- und Jugendmedizin FMH, Allgemeinmedizin, Anthroposophische Medizin, Paracelsus-Zentrum Sonnenberg, Zürich

 


Publiziert: 24. März 2023

 

Ich habe in den letzten Wochen und Monaten mit der Arbeit in der neu geschaffenen Stelle der Schüler:innen-Begleitung an unserer Schule den Eindruck gewonnen, dass Jugendkrisen und psychische Erkrankungen zunehmend nicht nur als etwas Individuelles zu betrachten und zu behandeln sind. Sie sind auch Ausdruck unserer Zeit, unserer Gesellschaft und eine Fragestellung insbesondere an uns Lehrpersonen und an die Schule als Institution.

Das innermenschliche Gefüge driftet auseinander. Der Leib verträgt zunehmend weniger die Seeleneindrücke. Gedachtes ergreift weder die Wirklichkeit noch die Eigenwirksamkeit. Die Willenstätigkeit ermüdet. Der Bezugspunkt im eigenen Inneren ist schwerer zu fassen. Wenn so das Selbstgefühl unsicher wird, werden die Weltbezüge irritiert, die Beziehung zu anderen problematisch und die Krisen häufen sich.

Die eingetretene seelische Lage – eine neue Ich-Situation – ist und klingt problematisch. Bei der problematisierenden Betrachtungsweise gehen wir vom Gewordenen aus, denn das wird erschüttert und in Frage gestellt. Wenn man vom Zukünftigem ausgeht, von dem, was sich erst noch verwirklichen will, klingt es nach Aufbruchstimmung und Potenzial zur Neugestaltung. Ein Neues kündigt sich an, dass sich in der Welt seinen Platz schaffen möchte und das Bisherige radikal in Frage stellt. Es ist eine Aufforderung, uns schöpferisch und gegenwärtig ins Leben zu stellen.

Daraus ergeben sich für mich zwei Fragebereiche:

1. Wenn die gegenwärtige Entwicklung in diese Richtung zeigt, stellt sich mir die Frage: Steht die Schule als Institution nicht in der Pflicht, darauf zu reagieren, und wie kann eine Schule auf diese neue Lage reagieren?

2. Wie wäre meine pädagogische Haltung, die mir schöpferische Begegnungen mit den Jugendlichen ermöglicht?

Zu dem zweiten Fragebereich ergeben sich mir dann drei Unterfragen: 

  1. Wie muss ich mich stimmen, bilden und ausrichten, so dass ich in der Begegnung Interesse am rein Gegenwärtigen gewinne?
  2. Wie kann ich in ein inneres Miterleben des Gegenübers kommen, dass sich mir die Welt neu erschliesst?
  3. Wie kann ich Impulse aus der Begegnung schöpfen?

 

Henrik Löning

Lehrer für Bildnerisches Gestalten, Mitarbeit Stelle Schüler:innenbegleitung und Seminar, Atelierschule

 


Publiziert: 15. März 2023

 

Wie gestalte ich Schule so, dass sie aus dem Hamsterrad herauskommt, in dem die Lehrpersonen immer Fragen stellen und die Schülerinnen und Schüler Antworten geben? Gehören Frage und Antwort nicht zu einem Ganzen, das sich unglücklicherweise zweiteilen muss, um einen Leib im pädagogischen Setting zu erhalten? Kann es nicht auch umgekehrt sein? Wie lehre ich Schülerinnen und Schüler, gute Fragen zu stellen, die vielleicht gar keine Antwort benötigen, weil sie aus einer Ahnung des fehlenden Teiles, eben der Antwort, heraus gestellt werden? Wie führe ich sie dahin, dass sie ein leises Bewusstsein ihrer eigenen latenten Fragen erhalten, das in ihren Knochen, Organen und Körperempfindungen schläft und schlummert? Wie führe ich sie dazu, statt sich nur selbst in Frage zu stellen, Fragen an die Welt zu stellen? Wie gestalte ich jugendpädagogische Entwicklungsräume so, dass Schülerinnen und Schüler nach ihrem Weg durch das Tal der Schule zu mit-leidend Fragenden werden, die stufenweise – gradatim – alles, was sie tun, aus Liebe tun?

 

Daniel Baumgartner

Schulleitung FOS Freie Mittelschule, Muttenz

 


Publiziert: 6. März 2023

 

Seit ich als Lehrer arbeite, stelle ich mir irgendwie naiv, aber doch dringlich, die Frage, ob Schule in der Form, wie wir sie meistens betreiben, wirklich irgendeinen Sinn hat.

Alle jungen Menschen hier bei uns, mit dem gigantischen Potenzial von allen Menschen in dem Alter, schleppen sich morgens, erwiesenermassen zu früh, in das gleiche Gebäude und kommen abends oft müde und vollgepackt mit Stoff, der ihnen jeden innerlichen Freiraum nimmt, wieder nach Hause.

Dort müssen sie sich dann, überfüllt mit den meist rein intellektuellen Anstrengungen des Tages, nochmals mit dem Stoff auseinandersetzen und suchen sich zwangsläufig online und digital Bilder und Welten, in die sie sich, weg vom Stoff, zurückziehen können, die sie aber nochmals weiter von ihrer Kraft abschneiden.

Klar bietet die Schule Strukturen, gibt teilweise auch kraftvolle Bilder und Gelegenheiten, sich sozial zu entwickeln, aber das tut ein Gefängnis auch.

Junge Menschen in einer starren Struktur, meist sitzend und denkend, gefangen zu halten unter dem Vorwand, es sei ihre freie Entscheidung, und sie dabei mit oft uniformem Stoff vollzupumpen, unabhängig ihrer Begabung und Neigung, ist für mich ein fragliches System, das weder wirkliche Eigenverantwortung fördert noch die Möglichkeit gibt, inspiriert einen Willensimpuls zu entwickeln, dem man dann in Freiheit folgen kann. Man lernt eigentlich dabei nur, in der Struktur einer Schule zu funktionieren und bestenfalls mehr oder weniger unbeschadet als tüchtiges Rädchen im Getriebe zu funktionieren.

Müssten wir nicht viel individueller und zeitlich und auch inhaltlich flexibler arbeiten? Dabei das Risiko eingehen und die Mühe auf uns nehmen einem Jahrhunderte alten System, das sich trotz moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse praktisch unverändert hält, die Stirn zu bieten, dafür erstmal geächtet zu werden, damit aber Raum zu schaffen für die einzigartige Entwicklung jedes Menschen?

Natürlich ist Schule nicht nur eine Frage des Systems, sondern auch der dort wirkenden Menschen. Aber das ist in jedem Betreib oder im Gefängnis auch so.

 

Gabriel Dalvit

Lehrer für Musik, Atelierschule

 


Publiziert: 27. Februar 2023

 

«Stille Revolutionäre», so nannte eine Zwölftklässlerin ihre Generation der Hochsensitiven, die sich oft mittels psychischer Probleme aus der unsensiblen Leistungsgesellschaft ausklinken. Sie hoffen auf eine Heilung in einer neuen Gesellschaft, die selbst erst zur menschlichen Reife finden muss, wenn sie vom egoistischen Kampf zu einer Lebensführung auf der Basis von Empathie und Mitgefühl finden will.

Jeder Jugendliche will wahr- und ernstgenommen werden, in einem «Begegnungsraum». Es braucht dazu Menschen, die «dialogisch» erziehen können und sich Zeit nehmen für die individuelle Begegnung mit den Jugendlichen, um sie dadurch auch wieder zum Lernen zu motivieren. Doch zeigt sich sowohl in der Familie wie in der Schule, dass wir kaum mehr die Zeit und Musse haben, spontane und menschlich einfühlsame Gespräche zu führen. Die Eltern sind vielfach im Stress und die Lehrer überlastet oder überfordert. Zu oft sprechen die Lehrer dann über die Schüler:innen statt mit den einzelnen Jugendlichen.

Meine Fragen dazu sind:

• Wie schaffen wir mehr Freiräume für echte menschliche Begegnungen im «Schulalltag»?

• Wie kann eine Klassengemeinschaft zu einem «Modell» werden für eine zukünftige «caring society», einer «empathischen Gesellschaft», in der auch «stille Revolutionäre» Verständnis und seelische Stärkung finden?

• Wie können diese grundlegenden pädagogisch-menschlichen Kompetenzen auch in einem Lehrerkollegium oder bereits in der Lehrerausbildung praktiziert werden?

 

Dr. Thomas Stöckli

Dozent an der Akademie für anthroposophische Pädagogik (AfaP), Dornach. Leitung Institut für Praxisforschung, Bellach.

 


Publiziert: 20. Februar 2023

 

Eine Frage, die ich mir oft stelle. Ich beschäftige mich innerlich schon seit langer Zeit mit der Frage, was mir das alles bringt oder bringen sollte. Gibt es Leute, die nicht in die Schule passen, welche nicht dazugehören?

Gehöre ich zu denen? Und wenn ja, was mache ich als so jemand?

Ich weiss anfangs einer Sache oder Entscheidung meistens schnell, ob es mir gefällt. Und wenn ich ehrlich bin, hat Schule von Anfang an nicht zu den Sachen gehört, die mir gefallen haben. Doch mit der Schule ist es eben nicht wie mit dem Musikgeschmack, bei dem man das Genre, dass einem nicht gefällt, einfach umgehen kann. Die Sache mit der Schule ist so kompliziert, weil es eine Sache ist, die man machen muss, um etwas zu erreichen oder überhaupt Anschluss an die Welt zu haben. Es sei denn, man will komisch angeschaut werden oder hat keinen Bedarf für das Leben in der Gemeinschaft.

 

Ruben Schulcz Pereira

Klasse 11d, Atelierschule

 


Publiziert: 13. Februar 2023

 

Eine Frage, die mich viel beschäftigt und zu der ich keine abschliessende Antwort kenne, auch weil es die vielleicht gar nicht gibt, ist folgende: Wie gestalten wir eine zeitgemässe Schule?

Ich glaube, dass wir dabei vor allem zwei Dinge verbinden müssen: Den Zustand der Lernenden mit dem Anspruch der Lehrenden an das eigene Fach. Ist diese Verbindung geklärt, kann man sich der Frage widmen, in welchen Umständen dies gelebt werden kann.

Der Zustand der Lernenden ist geprägt durch ihre Lebenssituation. Sie wachsen in einer gewissen Zeit auf (nämlich immer gerade jetzt), in der gewisse soziale, politische, technische Fragen die gesellschaftliche Debatte dominieren. Aktuell sind solche Fragen zum Beispiel die Klimakatastrophe, die Gleichstellung der Wertigkeit wirklich aller Menschen, die Technologisierung des Alltags durch Smartphones und künstliche Intelligenz usw. Und selbstverständlich hat jeder Mensch auch noch seine ganz individuellen Fragen, die sich aus seiner konkreten Lebenssituation ergeben.

Der Anspruch der Lehrenden an ihr eigenes Fach ist geprägt von der eigenen Ausbildung und den verschiedensten Erfahrungen im Zusammenhang mit den Inhalten des Faches. Während der ganzen Zeit, in der ich mich mit meinem Fach auseinandersetze, frage ich mich, wie ich bei den Lernenden ein Interesse an meinem Fach erwecken kann, so dass sie sich gerne mit diesen Inhalten beschäftigen wollen. Diese Beschäftigung soll aber auch noch meinen inhaltlichen Ansprüchen an mein Fach gerecht werden, denn oberflächliches Wischiwaschi bringt ja niemanden weiter.

Wie kann nun die Verbindung der Lernenden mit den Lehrenden zustande kommen? Ich glaube, dass es nicht direkt über die Verbindung der Lernenden mit den Fachinhalten funktioniert (also über extrinsische Motivation intrinsische Motivation erzeugen), sondern über einen Zwischenschritt, nämlich eine vertrauensvolle soziale Verbindung zwischen Lernenden und Lehrenden. Wenn die Lehrperson von den Lernenden als interessante Persönlichkeit mit Werten, Interessen, Freude und auch Fehlern, aber vor allem mit Begeisterung für das eigene Fach wahrgenommen wird, erscheint es sinnvoll, sich mit den Interessen dieser Lehrperson und den Fachinhalten zu beschäftigen. Einfach weil diese Person, die mir da gegenübersteht, am eigenen Fach eine echte Freude hat, mache ich halt mal mit und beschäftige mich mit den vorgeschlagenen Inhalten.

Die Bedingungen, in denen das umgesetzt werden kann, müssen also eine vertrauensvolle soziale Atmosphäre nicht nur erlauben, sondern geradezu befeuern.

Wie das erreicht wird? Dazu habe ich viele Fragen.

 

Valentin Meidinger

Lehrer für Mathematik, Atelierschule 

 


Publiziert: 6. Februar 2023