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Bücherhinweis


 

 

 

Henrik Löning

 

 

«ich gestalte mich in die welt für dich»

 

Anregungen aus der Resonanzpädagogik

 

 

 

In meinem schulischen Alltag gewinne ich den Eindruck, dass vorwiegend ein ressourcenorientierter Unterrichtsansatz verfolgt wird. Das dialogische Prinzip beschränkt sich meist auf eine persönliche Beziehungsebene zwischen Lehrperson und Schüler*innen. Beim Lesen der beiden folgenden Autoren wird deutlich, dass Beziehungsfähigkeit in der Pädagogik weit über das zwischenmenschliche «wir haben es gut miteinander» hinausgeht. Sie erstreckt sich neben der Beziehung zu den Lehrpersonen über stoffliche und methodische Beziehungen bis zur Klassendynamik und zur Gestaltung des Klassenzimmers und der Pflege desselben. Dem ressourcenorientierten Ansatz in der Pädagogik wird ein neuer Begriff entgegengestellt: Resonanzpädagogik.

Unter Resonanzpädagogik versteht Hartmut Rosa eine Form des Schulwesens und des Unterrichts, bei der die Beziehung selbst im Mittelpunkt steht. Beziehungen spielen meiner Kenntnis nach oft eine zentrale Rolle in erfolgreicher Pädagogik. Doch was ist nun das Neue an der «Resonanzpädagogik»? Jens Beljan erläutert in seinem Buch «Schule als Resonanzraum und Entfremdungszone» detailliert die Resonanzpädagogik auf der Grundlage von Rosas Resonanzbegriff. Man könnte annehmen, dass das Gegenstück zur Resonanzpädagogik die Entfremdung wäre – doch für Beljan ist dies nicht der Fall. Das Moment der Entfremdung ist geradezu notwendig, um einen Lern- und Wandlungsprozess zu durchlaufen. Resonanzpädagogik zielt auf die Fähigkeit der «Anverwandlung» ab: «Die Resonanzbeziehung zielt darauf ab, Anverwandlung zu initiieren, und dafür ist es notwendig, junge Menschen zunächst ein Stück weit von ihren gewohnten Bezügen zur Welt zu entfremden, um sich neuen potenziellen Resonanzachsen gegenüber neu zu positionieren» (1).

So interpretiere ich die Ansätze der Resonanzpädagogik als Hilfestellung, um eine dialogische und positive Verbindung zur Welt herzustellen, in der die Fähigkeit zur eigenen Gestaltung und die Ausrichtung, das Ziel und der Sinn der eigenen Tätigkeit zum Tragen kommen. In Resonanz zu sein bedeutet, immer wieder eine neu auszulotende Stimmigkeit zu finden, die von den Lehrpersonen und Schüler*innen gefordert wird. Der Kinder- und Jugendtherapeut Henning Köhler sprach von einem sehr ähnlichen Prozess, den ich für mich in folgenden Leitsatz übersetzt habe: «Ich gestalte mich in die Welt für dich.» Der Gedanke der Resonanz ist in der Pädagogik nichts Neues. Die Resonanzpädagogik geht jedoch von einem umfassenden Primat der Beziehung aus. Sie setzt nicht beim Selbst, der (sozialisierten) Welt, bei Methoden oder Schulformen an, sondern beim «Dazwischen». Die Möglichkeiten der Beziehung werden in den Mittelpunkt gerückt, mit dem Ziel, Begegnungen mit der Welt und die eigene Selbstwerdung anzuregen und zu verstärken. Jens Beljan geht in seinem Buch neben dem theoretischen Überbau auch sehr konkret und umfassend auf zahlreiche Anregungen und Beispiele ein, so dass das Buch für interessierte Lehrpersonen, die Beziehungen in der Schule neu denken wollen, anregend ist.

Wilfried Sommer greift in seiner Essaysammlung «Resonanzfiguren des verkörperten Selbst» Gedanken von Hartmut Rosa und Jens Beljan auf und erweitert sie aus phänomenologischer und waldorfpädagogischer Sicht. Sommer konzentriert sich in seinen Skizzen auf didaktische Momente tatsächlichen Unterrichtsgeschehens, die er vor allem mit anthropologischen Begriffen von Thomas Fuchs und Rudolf Steiner betrachtet. Dabei erkundet er insbesondere die verschiedenen Ebenen des personalen Erlebens der Schüler*innen und ihrer objektivierenden Erkenntnisbildung: «Jedes Mal, wenn Schülerinnen und Schüler den Übergang zwischen einer personalistischen und einer objektivierenden Einstellung in die eine oder andere Richtung produktiv realisieren, überschreiten sie eine Schwelle, die fundamental für ihre Weltverbindung ist. Sie schlagen den Grundton ihrer Weltbeziehung an» (2). Seine Ausführungen zum Willen, die diesen nicht als kognitive Steuerung, sondern als Beziehungskraft auffassen, verdienen eine vertiefte Betrachtung.

Beiden Autoren geht es darum, umfassende Möglichkeiten und Angebote zu schaffen, damit Schüler*innen in allen Bereichen eines komplexen Schulbetriebs in Resonanz treten können. Es geht um die Förderung einer Schule, die hohe «Beziehungsqualitäten» aufweist. In diesem Zusammenhang bieten ihre anregenden Studienbücher eine sehr interessante Möglichkeit, sich mit dem Thema der Resonanz auseinanderzusetzen und können auch nur in Ausschnitten gelesen werden.

 

  

  1. So Beljan in: Jens Beljan / Michael Winkler, Resonanzpädagogik auf dem Prüfstand. Über Hoffnungen und Zweifel an einem neuen Ansatz, Beltz, Weinheim 2019, S. 104.

  2. Siehe Sommer 2021, S. 116.

 

 

 

Jens Beljan, Schule als Resonanzraum und Entfremdungszone. Eine neue Perspektive auf Bildung, 2. Auflage, Beltz-Juventa, Basel 2019.

Wilfried Sommer, Resonanzfiguren des verkörperten Selbst. Essays zu anthropologischen Entwürfen der Waldorfpädagogik, Beltz-Juventa, Basel 2021.

 


Henrik Löning • Lehrer für Bildnerisches Gestalten, Atelierschule Zürich. Leitung Seminar Atelierschule.