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Henrik Löning

 

 

«wie kommen wir ins wollen, bevor wir merken, dass wir hätten wollen müssen?»


Seminarausbildung als lebensbejahendes Konzept für die Schule

 

 


 
«Mir scheint, das Wichtigste ist: dass die Klimakrise nicht woanders, nicht irgendwann stattfindet, die Zerstörung droht nicht erst, sie vollzieht sich schon, es geht nicht mehr nur um Wissen und Verstehen, sondern um Handeln. Die entscheidenden Jahre sind jetzt.»

Carolin Emcke, Philosophin und Publizistin, Berlin
 


«Es gibt kein Patentrezept zur Lösung der Klimakrise. Die Klimakrise ist ein vielschichtiges Problem, das einen ganzheitlichen Ansatz fordert.»

Sherry Rehman, Ministerin für Klimawandel in Pakistan
 


«Die aktuelle Klimarevolution könnte uns in allen Bereichen wohlhabender machen.»

Rebecca Solnit, Schriftstellerin, Mitgründerin des Klimaprojekts «Not too Late», San Francisco

 


 
Hier geht es nicht um den Klimawandel, sondern um die Freude am Leben. Aber wir können von der Problematik des Klimawandels viel lernen. Krisen bedeuten Veränderung, auf die wir oft keine sofortige Antwort haben. Sie sind ein Ruf, nicht einfach so weiterzumachen wie bisher.

Tatsächlich ist das Beharren auf dem Status quo heute oft ein Anzeichen für eine Krise. Wenn die Lust auf Veränderung und neue Perspektiven nachlässt und stattdessen nur ein «weiter so» betrieben wird, dann ist es meist schon zu spät, um lebendig zu bleiben. An diesem Punkt bemerken wir oft noch nicht einmal, dass wir in einer Krise stecken. Stattdessen neigen wir dazu, zu nörgeln und zu schimpfen, wer was falsch macht und wie es besser gemacht werden sollte. Müdigkeit, depressive Verstimmungen, Überforderung und Burnout sind nur einige Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Der Erfolg lässt nach, alles wird zu viel, und es mangelt an Anerkennung und Wertschätzung. Die Perspektive des inneren Niedergangs nimmt Form an. An diesem Punkt ist es verlockend, den Blick abzuwenden und ja nichts zu ändern. Wir nehmen unsere Bedürfnisse nicht wahr, decken keine Missstände auf, besprechen keine Probleme und ändern nicht unseren Blickwinkel, unsere Bedürfnisse oder unseren Sinn. Wir sind der Überzeugung, dass sich nichts ändern darf und was sich ändert, nicht sein darf. In der Umkehrung würde sich das so lesen: Aktiv in und mit Veränderungen umgehen, ist Vitalität, Freude und Teilnahme am Leben. In diesem Sinne scheint mir Carolin Emckes Aufruf ein bejahender Aufruf zum Leben.

Aber wie nun handeln? Gibt es das richtige Leben für eine richtige Zukunft? Und gäbe es dann eine richtige Bildung, in der Schüler:innen für eine kommende Zukunft vorbereitet wären? Wie gehe ich mit der deutlich zunehmenden Diversität und Individualisierung um? Wie reagieren wir als Kollegium auf Phänomene wie Chat GPT? Wie können wir als Schule Resilienz fördern? Wer den Schulalltag verfolgt, wird die Liste von Fragestellungen leicht erweitern können.

Für den Umgang mit Fragen formulierte Pablo Picasso eine offene, kreative und letztlich sehr einfache Methode: «Ich suche nicht – ich finde. Suchen, das ist ein Ausgehen von alten Beständen und ein Findenwollen von bereits Bekanntem im Neuen. Finden – das ist das völlig Neue! Das Neue auch in der Bewegung. Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer! Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen, die sich im Ungeborgenen geborgen wissen, die in die Ungewissheit, in die Führerlosigkeit geführt werden, die sich im Dunkeln einem unsichtbaren Stern überlassen, die sich vom Ziele ziehen lassen und nicht – menschlich beschränkt und eingeengt – das Ziel bestimmen. Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis, für jedes neue Erlebnis im Aussen und Innen: Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen, der in aller Angst des Loslassens doch die Gnade des Gehaltenseins im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.»

Joseph Beuys formulierte diesen Sachverhalt aus einer anderen Perspektive: «Die Christuskraft, das Evolutionsprinzip kann nun aus dem Menschen quellen, es kann hervorbrechen, denn die alte Evolution ist bis heute abgeschlossen. Das ist der Grund der Krise. Alles, was an Neuem sich auf der Erde vollzieht, muss sich durch den Menschen vollziehen.»

Und Rudolf Steiner betonte noch einen anderen Aspekt: «Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen.»

Die drei zitierten Persönlichkeiten haben eine Gemeinsamkeit: Sie waren Vorreiter ihrer Zeit und glaubten an die Kraft des einzelnen Menschen, der in einem Dreieck aus Initiative, Verantwortung und Fantasie handelt. Sie waren der Ansicht, dass die Zukunft nur durch das Handeln des Einzelnen entstehen kann, der sich in einem Spannungsfeld zwischen seinen eigenen Impulsen, Anliegen, Fragen und der Verantwortung für Ort und Zeit befindet.

Meine Absicht ist nicht, die Schwere der globalen Probleme zu minimieren oder einfache Lösungen anzubieten. Aber ich sehe auch die zunehmende Initiativlosigkeit und den Mangel an Fantasie als Teil des Problems. Eine sich verändernde Wirklichkeit verlangt sich verändernde Menschen und umgekehrt. In dem Sinne teile ich die Meinung von Solnit, dass die anstehenden Veränderungen uns wohlhabender machen können.

Der Ansatz von Picasso, Beuys oder Steiner, der mit individuellen, gestaltenden und in Beziehungen stehenden Menschen rechnet, überzeugt mich. Eine Schule der Zukunft kann für mich nur eine Schule sein, die in diesem Sinne fördernd ihre Schule, ihr Kollegium, ihren Unterricht und ihre Beziehungen zur Schülerschaft gestaltet. Und der Anfang für eine solche Schule liegt in den Lehrpersonen, die mit ihren Impulsen konkrete Verantwortung für das vor ihnen Stehende übernehmen und mit Fantasie die richtigen Wege und Möglichkeiten mit der Schülerschaft, der Elternschaft und als Team finden.

«Der vor uns liegende Weg ist noch mit vielen Unwägbarkeiten verbunden. Das macht Angst. Das Gegenmittel zur Angst ist Gemeinschaft. Gemeinsam werden wir den Mut finden.» Anthony Patt, Professor für Klimapolitik an der ETH Zürich, spricht diesen Gedanken im Zusammenhang mit der Suche nach Wegen aus der Klimakrise aus. Auch diesen Gedanken kann man generalisieren. In allen Bereichen der Entwicklung ist Zusammenarbeit unerlässlich.

Aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass Schulen grosszügig in die teambasierte Entwicklungsarbeit investieren sollten. Hier besteht grosser Nachholbedarf oder man verfällt der Stagnation. Zeit und Raum sollten zur Verfügung gestellt werden, um seminaristischen Austausch, das gemeinsame Ringen um Fragestellungen und das Entwickeln von Lösungsansätzen zu fördern. Die Förderung von individuellen Impulsen und kollegialer Auseinandersetzung sind für mich Kernpunkte unserer seminaristischen Ausbildung zugunsten von Schulentwicklungen.

Wenn sich Störungen, Veränderungen und Probleme für Teilnehmende am Seminar zu willkommenen Fragestellungen und Herausforderungen wandeln, ist für die Schüler:innen und die Schulen viel gewonnen, da ein lebensbejahendes Konzept, das aus sich selbst heraus entwicklungsfähig ist, gelebt wird.

 

 

 


Henrik Löning • Lehrer für Bildnerisches Gestalten, Atelierschule Zürich. Leitung Seminar Atelierschule.