Aus dem Schulprojekt FOSvelos
Daniel Baumgartner
sich selbst erschaffend – jugendpädagogik heute
Die Jugend und ihre Pädagogik verschwinden zusehends im Bauch der Digisphäre. Dort sorgen die sozialen Medien für emotionale Dauererregung, Youtube erklärt Physik und wie sich Pickelnarben beseitigen lassen. Für Denken, Fühlen und Wollen ist gesorgt. Ausserhalb dieser Sphäre gibt es kaum Raum für geistformende Erklärmodi, ideelle Beeindruckbarkeit durch wissende Ältere und Angebote zur Vertiefung seelischer Kultur. Und genau deswegen, so sagen die Analog Natives, geht es der Jugend so schlecht, stehen sie Schlange vor den Toren der Psychologen, Psychologinnen, Psychiater und Psychiaterinnen.
Gewiss, Jugendliche waren schon immer Opfer, wurden schon immer für Ideologien missbraucht. Von der Hitlerjugend über die kommunistischen Jugendbünde bis zu den 16-jährigen Kamikaze-Fliegern, vom verkommerzialisierten Widerstandssound des Pop über modisch kaputte Armenviertel-Jeans bis zu Influencerträumen für Identitätskonstruktionen durch Sammeln von Likes. Allerdings ist das nur eine Seite, denn dahinter gibt es noch eine andere, doch zeigt sie sich erst, wenn man Bedingungen für ihr Hervortreten schafft.
Jugendliche bilden keine Konstante, heute nicht mal mehr eine entwicklungsbiologische. Jugendliche sind immer ganz, was sie sind. Also nicht Wesen, die einmal so, ein andermal so beeinflusst werden und dann anders werden, als wir meinen, wie sie sein sollten. Jugendliche heute sind Genies im Aufnehmen, Aneignen, Vereinnahmen, Verinnerlichen und Umwandeln. Sie schlüpfen gekonnt in Stile, Merkmale, Typen, Figuren, Tools und Szenen hinein. Sie nehmen, was die Welt ihnen bietet, zum Baustoff, um sich als Ich-Menschen zu erschaffen. Mit Peers oder in Zurückgezogenheit. Wenn sie bei diesem Vorhaben gestört, unterbrochen, verachtet, verlacht und kritisiert werden, rebellieren sie – und dies tun sie heute nicht mehr nach aussen, sondern nach innen und gehen auf Standby.
Als wir von der FOS Freie Mittelschule in Muttenz, die die 10. bis 12. Klasse (mittlerweile noch eine 13. Klasse für die schweizerische Matura) führt, nach 19 Jahren Frontalunterricht 2017 beschlossen, die Schule den Schülerinnen und Schülern zu übergeben, auf dass sie alle Angebote in Selbstverantwortung übernehmen und nutzen, geschah ein mittelgrosses Wunder. Die jungen Menschen liessen sich darauf ein, übernahmen die Philosophie, dass es um sie und nur um sie selbst und dadurch um ihr Selbst geht, mit Selbst-Verständlichkeit.
Damit wurde etwas deutlich, was in unserer Schule immer wieder herumgeistert, dass Schule für Jugendliche keine Institution sein sollte, sondern ein pädagogisches Labor, ein Innovation Lab, ein organisches Sozialbiotop, ein stetig emergierendes Lehr-Lernfeld mit hoher Bodenfruchtbarkeit und ein gelingendes System mit aufweckenden Rückschlaufen. Dass man in diesem Kontext durchaus das Ziel der staatlich auferlegten Schulbildung mit Schlusspapier und Stempel erreichen kann, zeigt die Praxis. Aber eben nicht nur dies. Wir wollen Hebammen für Ich-Geburten sein (Maieutiker), Vertrauenspersonen, wenn die Eltern nicht mehr als zuständig empfunden werden, Seelsorgende, Schwellenhütende in Individuationsprozessen und nicht zuletzt gutes Schicksal.
Damit das funktioniert, müssen manche überaltete Waldorf-Kühe geschlachtet werden, aber nicht eliminiert, sondern transformiert, unter anderem zu jugendpädagogischen Hornmistpräparaten und Weiterem. Wie das konkret aussieht, kann man bei uns anschauen. Gerne beraten wir auch, wie Veränderungen in Gang gesetzt werden können, die Unzeitgemässes zur Gegenwart optimieren.
Daniel Baumgartner, Schulleitung FOS Freie Mittelschule, Muttenz.